China-Marketing – Heterotopographie eines „anderen Globus“ (Teil III)

Alles unter einen Hut bringen. © at

Teil III: Herausforderung Inkompatibilität

Die Geisteswelten des Westens und des Osten sowie daraus resultierende Usancen liegen bis heute sehr weit auseinander, was indes nicht zwingend bedeutet, dass es sich um eine unüberbrückbare Kluft handelt. Bestehende Differenzen können sehr wohl überwunden werden, wenn sich ein gegenseitig von Respekt getragenes Verhältnis aufbauen lässt.

So gilt es heute im China-Marketing insgesamt zu beachten, dass chinesische Konsumenten, auch wenn sie westliche Waren „schick“ finden, auch wenn China nie zuvor mit der restlichen Welt so eng verbunden war, keineswegs im Zuge einer Modernisierung verwestlichen, wie von einem Großteil der westlichen Presse durch touristische Momentaufnahmen suggeriert wird. Jahrtausende chinesischer Kulturgeschichte zeigen, dass China zwar stets neue Einflüsse aufgenommen hat, diese jedoch auf Praktikabilität prüfte und so weit an die eigenen Bedürfnisse anpasste, dass eine Herkunft von außen kaum mehr ersichtlich war. Diese Kraft der Assimilierung verhalf China seit jeher, seine Kultur zu festigen, Charakteristika zu erhalten und bis in die Gegenwart zu transferieren. 1936 schreibt die Frankfurter Zeitung, China erschließe sich den Erfindungen des Westens schnell und geschickt – um in der Tiefe freilich alles Westliche, die Maschinen und ihr Tempo, die abendländischen Sitten und Begriffe, wieder zu verleugnen und sich erneut dem langsamen Rhythmus der Monde und der Planeten zuzuwenden. Das uralte China erkenne nur in sich selbst seine letzte Instanz.

Managementbücher dieses Jahrtausends postulieren: Ausländer in China sollten sich damit abfinden, für Chinesen nichts mehr als „Atmosphäre“ zu sein, welche geprägt sei durch Technologie, Wissen und Finanzkraft. Das „chinesische Wissen“, die Geisteswelt, wird indes dem westlichen Wissen, vor allem in Bezug auf Technik, stets übergeordnet, wie es das Ti-yong-Prinzip (中学为体, 西学为用) einfordert: Westliche Technologien, angefangen bei den astronomischen Instrumenten der Jesuiten, werden in Gebrauch genommen, geistige Kulturgüter hingegen stark selektiert, nichts wird kritiklos übernommen. Seit jeher verstanden es die Chinesen, fremde Religionen, Gedanken und Kulturen aufzunehmen, ohne dabei ihr eigenes Wesen zu verlieren. Gerade in Zeiten eines Umbruchs bietet diese Methode kulturellen Rückhalt und verleiht der eigenen Kultur Kontinuität und Sinn. Harro von Senger zitiert den chinesischen Schriftsteller Zhang Xianliang (张贤亮), die chinesische Geschichte sei die eigentliche Religion des chinesischen Volkes, schließlich werde sie als Spiegel benutzt, um „Wegleitungen für die Zukunft“ zu suchen. Darüber hinaus verfüge sie über eine „integrierende Kraft“ und vermittele „Superstabilität“. Doch auch hier gilt: „Als Söhne und Töchter Chinas sollten wir natürlich die hervorragenden Hinterlassenschaften der traditionellen Kultur übernehmen, aber es sollte ein rationales und kreatives Übernehmen sein.“ Der Verweis auf diese Historizität und das damit einhergehende reflexive Innehalten wird allerdings allzu oft im Sinne einer Rückwärtsgewandtheit fehlinterpretiert.

Otto Franke urteilt 1911, „… daß niemand sich einbilden möge, das heutige China zu begreifen, der nicht das alte kennt.“ Die Erweiterung des Blickwinkels um eine historische Dimension ermöglicht eine Verschiebung der Lernkurve. Vorausgesetzt, wie es bereits Leibniz in der Novissima Sinica 1679 festhielt, die europäische Belehrungsgesellschaft entwickelt die Bereitschaft, sich in Sachen China in eine Lerngesellschaft zu transformieren. Ein Blick in die Chinaberichterstattung, die allzu oft aus Interessen der Macht und Manipulation Identitäten konstruiert anstatt beobachtbare Sachverhalte und für Erklärungen zugängliche Phänomene reportiert, lässt dagegen kaum eine andere Schlussfolgerung zu, als dass wir auch über 330 Jahre später in diesem Punkt keinen wesentlichen Fortschritt errungen haben. Im Gegenteil steigt die Diskrepanz zwischen Fremd- und Eigenwahrnehmung überproportional, solange westliche Stagnation und repetitive Stereotypbefriedigung auf chinesische Dynamik trifft.

Die größten erfolgsschmälernden Risiken gehen nicht vom Markt per se aus, sondern liegen unternehmensintern in der Inkompatibilität, lokale Realitäten in etablierte Systeme zu integrieren. Das Ohr am Markt ist es höchste Zeit, dass Marktakteure die Phase des „Versuchs und Irrtums“ beenden, die Keime der Erkenntnis langfristig geltender Einfluss- und Erfolgsfaktoren nutzen und in das Feld der Zukunft säen. Wer bereit ist, sich diesen Herausforderungen zu stellen, wird mit unternehmerischem Gespür und interkulturellem Talent auf der Topographie des chinesischen Globus erfolgreiche Ernten erwirtschaften. at

Über China Marketing Blog

Führender Blog zum Thema China Marketing herausgegeben von China-Experte Dr. Dr. Andreas Tank. Praxisbeispiele, Fallstudien, Informationen, Hintergrundanalysen.
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