
Mondkuchen von Oreo. @ at
Wenn sich in chinesischen Supermärkten, Hotels oder Kaffeeketten alljährlich die Geschenkboxen für Mondkuchen stapeln, dann steht das Mittherbstfest unmittelbar bevor. Ob Starbucks, Disney, Godiva oder Oreo – sie alle nutzen den traditionellen chinesischen Feiertag und überbieten sich gegenseitig mit attraktiven Verpackungsdesigns und interessanten Geschmacksrichtungen. Vor allem zwei Graphikelemente springen ins Auge: Vollmond und Hase. Was hat es mit diesen auf sich?
Nach dem alten chinesischen Kalender beginnt jeder Monat am Neumondstag, folglich ist am 15. Tag Vollmond. Das Mittherbst- oder auch Mondfest (中秋节, zhongqiujie) wird am 15. Tag des achten Vollmonds nach dem chinesischen Neujahrsfest gefeiert. Im Jahr 2017 fällt es auf den 4. Oktober. Chinesische Kaiser opferten am Tag des Erntemonds dem Erdtrabanten für eine reiche Ernte. Die dargebrachten Gaben zur Beschenkung des Mondes hatten allesamt eine symbolische Bedeutung. Melonen beispielsweise drückten den Wunsch aus, dass die Familie vollzählig vereint bleiben möge, Granatäpfel deuteten auf reichen Kindersegen und Äpfel auf Frieden. In Anlehnung an die volle Mondscheibe wurden für dieses Fest große, runde Kuchen gebacken – Mondkuchen (月饼, yuebing) –, auf deren Oberfläche Gegenstände dargestellt wurden, die man im Vollmond zu erblicken meinte.
An erster Stelle: ein Hase, eines der zwölf Tiere des zyklischen Tierkreiszeichens. Während der Feierlichkeiten rund um das Mondfest erhielten Kinder aus diesem Grund tönerne Hasen als Geschenk. Der weiße rotäugige Hase, auch Jadehase genannt, stößt mit einem Stößel kurz vor Sonnenaufgang zwischen 5 und 7 Uhr in seinem Mörser die Rinde des mystischen Zimtbaumes und stellt ein Pulver her, das Unsterblichkeit gewährt. Der Mondhase ist damit ein Symbol für langes Leben (长寿, changshou).
Der Zimtbaum blüht zeitgleich zum Mittherbstfest und gilt infolgedessen als Blüte des Herbstes. Der mystische Zimtbaum wiederum wächst im Hofe des Mondpalastes – dem sogenannten Palast der weiten Kälte (广寒宫, guanghangong) –, und der Überlieferung nach so üppig, dass er mit der Zeit den ganzen Glanz des Mondes beschatten würde. In dem Märchen von der Mondfee muss er folglich alle tausend Jahre einmal abgehauen werden. Oder von einem Mann im Mond, der allerdings ikonographisch wenig mit dem deutschen Volksglauben, einem freundlichen Mondgesicht oder als symbolisches Exil für Überschreiter christlicher Gesetze gemein hat, sondern eher als chinesischer Sisyphos gilt: Wu Gang (吴刚). Laut Mythos, der seinen Ursprung spätestens in der Tang-Dynastie (618-907) findet, versucht er jede Nacht, den mystischen Zimtbaum abzuhacken, aber bis zum Folgetag ist er wieder neu gewachsen. Die Blüten des Zimtbaumes haben einen sehr wohlriechenden Duft. Die Redewendung „einen Zimtzweig abbrechen“ (折桂, zhegui) besagt, die Staatsprüfungen zu bestehen, weil man dadurch nach allen Seiten gut duftet, sprich eine hohe Anstellung (贵, gui) erringt. Die erfolgreichen Absolventen werden auch als Zimtsöhne oder Orchideenenkel bezeichnet.
Für den Zustand der Unsterblichkeit ist die Verschmelzung der universellen Gegensätze Yin (weiblich) und Yang (männlich) Voraussetzung, wie die Symbole Stößel und Mörser unschwer zum Ausdruck bringen. In einer anderen Überlieferung kommt es zu einer Vereinigung der dreibeinigen Goldkrähe, die in der Sonne wohnt (Yang), und dem Jadehasen auf dem Mond (Yin). In seinem Buch „China – Das Reich der Mitte einst und jetzt“ schreibt der Freiburger Ethnologe und Reiseschriftsteller Joseph Lauterer 1910: „Macht man einen Topf aus himmlischem und irdischem Material, mischt den Hasen mit der Krähe und läßt beide in dem Topfe sieden, bis sie zum gelben Weg Hwang To (der Ekliptik) getrieben sind, so ist man gewiß, die ‚Goldene Pille der Unsterblichkeit‘ oder die ‚Wirkliche Kenntnis‘ zu erhalten, welche auch ‚Weißer Schnee‘, ‚Perlenkorn‘, ‚Gelbe Knospe‘ oder ‚Goldene Blume‘ heißt.“
Der chinesischen Mythologie nach leben weder der Jadehase noch die Goldkrähe allein auf ihren Planeten. In dem legendären Mondpalast residiert die Mondgöttin Chang’e (嫦娥). Sie soll die Frau des Bogenschützen Houyi (后羿) sein, der seinen Wohnsitz auf der Sonne hat. Houyi hatte einst das Kraut der Unsterblichkeit von der Königsmutter des Westens Xiwangmu (西王母) erhalten. Während seiner Abwesenheit aß Chang’e dieses Kraut, wurde unsterblich und stieg zum Mond auf. In Anlehnung an diese Sage werden die Raumfahrzeuge des chinesischen Mondprogramms nach ihr benannt. Sie wird oft als vornehme Dame abgebildet, an ihrer Seite zwei Kinder, die den Hasen mit seinem Stößel und Mörser bestaunen. Chang’e ist es schließlich zuzuschreiben, dass bei Vollmond neben dem Hasen und dem Schicksalsknaben Wu Gang auch eine dreibeinige Kröte zu sehen ist. Sie ist die verwandelte Chang’e und damit ein Mondsymbol, das ebenso für langes Leben steht. Zudem kann sie unerreichbare Wünsche versinnbildlichen, schließlich glaubte man, dass die Kröte den Mond verschlingen könne, beispielsweise bei Mondfinsternissen.
Aus Südchina ist der folgende Mondfestbrauch überliefert: Allgemein war es Sitte, dass ein heiratsfähiges Mädchen an einem von ihr bestimmten Tag Freier einlud und ihnen von einem Balkon aus einen Ball aus rotem Stoff und Federn zuwarf. Der Fänger wurde ihr Bräutigam. Als beliebtester Tag für diese Zeremonie galt das Mittherbstfest. Die Tanka schließlich, eine auf Booten lebende südchinesische Minderheit, feiern an diesem Tag zu Ehren eines frisch vermählten Ehepaares die folgende Zeremonie: An die Tür des Schlafzimmers wird ein Zimtbaum gestellt, unter dem sich eine Kröte und ein Hase befinden. Das Brautbett, der sogenannte Krötenpalast, wird verhängt und vor ihm werden Kerzen aufgestellt. Dann tritt eine alte Frau auf der Vorderseite des Bootes auf eine Plattform. Sie verkörpert die Königsmutter des Westens, vor ihr liegen glücksbringende Erdnüsse, Kürbiskerne, Zimtgebäck, Tee und Wein. Vor der vesammelten Familie tritt das Ehepaar in Hochzeitsgewändern in Erscheinung und stellt sich in das Mondlicht. Im Anschluss schreiten sie Richtung Brautzimmer – auch Mondpalast genannt – und halten vor dem Bett, dem Tor der Mondhalle. Mit Ermahnungen verlässt die alte Frau das Zimmer, bevor das Paar in den „Krötenpalast“ geleitet wird. Die rituell zum zweiten Mal vorgenommene Heirat steckt voller Mondsymbolik.
Die aufgeführten Unternehmen veranschaulichen, wie es westlichen Marktakteuren gelingt, lokale Feiertage erfolgsfördernd in ihr Chinageschäft zu integrieren. Die Analyse der mythologischen, kulturellen Hintergründe wiederum unterstreicht, wie entscheidend die Bereitschaft ist, den chinesischen Markt frei von westlichen Denkmodellen zu entwickeln und unvoreingenommen Neues zu lernen. Über allem darf Modernisierung nicht als Verwestlichung missverstanden werden. Auch heute ist China für viele Unternehmen eine Black Box, Erfolgs- und Einflussfaktoren, Hintergründe und Zusammenhänge bleiben unbekannt.
Die Auseinandersetzung mit China ist damit nicht zuletzt auch eine Auseinandersetzung mit sich selbst. Zahlreiche Entscheidungsträger scheitern an der selbstreflexiven Komponente, der konstruktiven Infragestellung ihrer bisherigen Erfolgsrezeptur und der notwendigen Erweiterung ihres Vorstellungsvermögens. Wer dagegen bereit ist, sich dieser anspruchsvollen Herausforderung zu stellen, wird mit unternehmerischem Gespür, interkulturellem Talent und Ausdauer die entscheidenden Steine ertasten, um trockenen Fußes den Fluss zu überqueren (摸着石头过河, mozhe shitou guohe). at
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