Interview: „Das Chinageschäft ist kein Sprint, sondern ein langer Marsch“

Wie Unternehmen eine erfolgreiche Marketingstrategie für den chinesischen Markt entwickeln, erläutert Springer-Autor Andreas Tank im Interview mit Anja Schüür-Langkau.

Springer Professional: Wie unterscheidet sich der chinesische Konsument von westlichen Verbrauchern?

Andreas Tank: China gilt als das Gegenprinzip des Westens. 5.000 Jahre ununterbrochene Kulturgeschichte prägen die Sozialisierung der Konsumenten und bestimmen maßgeblich Faktoren wie Kaufverhalten, Präferenzsystem und Nutzenerwartung.

Im Zuge der rasanten Entwicklung seit der Marktöffnung und Ein-Kind-Politik hat sich ein kaufkräftiger städtischer Mittelstand herausgebildet, der nach innovativen und populären ausländischen Produkten strebt. Diese gelten als besonders attraktiv, wenn sie die Individualität fördern, einen Statusgewinn bewirken und dem Kunden somit ermöglichen, aus der Anonymität der millionenfachen Masse herauszutreten, als dynamisch-modern, international und anders zu gelten. Aber Vorsicht: Einen prototypischen chinesischen Konsumenten kann es natürlich ebenso wenig geben, wie – Chinas geografische Größe auf europäische Verhältnisse bezogen – gleiches Konsumverhalten vom Nordkap bis nach Gibraltar.

Auf welche Aspekte müssen Unternehmen bei der Entwicklung von Produkten für den chinesischen Markt besonders achten?

Die Analyse und das Verstehen der Zielgruppe legt auch in China die Grundlage für späteren Erfolg. Beispielsweise sind die Verwendungsgewohnheiten zu eruieren und Fragen zur Konsumgröße, der Preisbereitschaft oder der technischen Ausstattung von Haushalten zu beantworten. Bei Lebensmitteln ist zusätzlich das Geschmacksempfinden zu prüfen, das wesentlich von dem westlicher Zungen abweicht. Darüber hinaus ist die kulturelle Bedeutung von Farben und Formen zu beleuchten, schließlich eröffnet der kulturspezifische Bedeutungsgehalt ein weites Feld für Fehlentscheidungen.

Besondere Aufmerksamkeit sollten Unternehmen der Übertragung des Markennamens und des Slogans in die chinesische Sprache und Schrift schenken, denn bei 50.000 Zeichen, 400 Silben und vier Tonhöhen warten unzählige Fettnäpfchen. Und schließlich gilt es, die Promotions- und Schutzfunktion der Verpackung zu hinterfragen: Welche Auslobungen und Darbietungen sind verkaufsfördernd und wie trägt sie den herausfordernden Distributionsverhältnissen und diversen Klimazonen in China Rechnung? Bei allen Überlegungen müssen Unternehmen sich stets vor Augen halten, dass das chinesische Marktumfeld höchst wettbewerbsintensiv ist.

Können Sie einige Beispiele nennen, welche rechtlichen und moralischen Restriktionen bei der Markenkommunikation in China relevant sind?

Der chinesische Medienmarkt ist stark reguliert. Zugleich zeigt die Praxis, dass sowohl die Auslegung von Regelungen als auch die Prinzipien für die Genehmigung von Kommunikationsinhalten höchst uneinheitlich sind.

Grundsätzlich ist der Gebrauch von Superlativen ebenso unzulässig wie allzu freizügige Werbemotive oder das Aufgreifen von politischen Themen oder staatlichen Elementen. Das Gesetz dient neben der offiziellen Begründung des Verbraucherschutzes dazu, den sozialistischen, kulturellen und ideologischen Entwicklungsprozess Chinas zu unterstützen und Bedrohungen der sozialen Stabilität abzuwenden. Analog zur Vision der politischen Führung sollen in der Werbung Vorbildcharaktere gezeigt werden. Zum Beispiel durch Darstellung von harmonischen Familien, wohlerzogenen Kindern oder kollektivistischem Verhalten wie das Teilen von Wissen mit der Gemeinschaft.

Was unterscheidet die Zielgruppenansprache in China von den Herangehensweisen in westlichen Kulturen?

Kulturelle Unterschiede wirken auf die Positionierung sowie das Leistungsversprechen und dessen relevante Begründung ein. Es ist folglich zu prüfen, ob die durch eine Marke oder ein Produkt verkörperten Werte in China akzeptiert werden und in welcher Art Inhalte und Botschaften wirkungsvoll übermittelt werden können.

Direkte und indirekte Elemente sind so einzusetzen, dass dem Käufer „Gesicht“ gegeben wird. Dieses setzt profunde Chinakompetenz voraus, denn gleichwohl die starke Symbolorientierung der chinesischen Gesellschaft einen reichhaltigen Fundus an Gestaltungselementen bietet, so verstecken sich gerade bei Farben, Tieren, Pflanzen, Zahlen, Bauwerken oder Gegenständen subtile Zwei- und Mehrdeutigkeiten, die es im Vorhinein zu erkennen gilt und deren Einsatz mit bewusster Überlegung zu erfolgen hat.

Sie sprechen in Ihrem Buch vom Ursprungslandeffekt. Was verstehen Sie darunter und wie können internationale Marken diesen Effekt nutzen?

Die Herkunft eines Produktes beeinflusst maßgeblich die Kaufentscheidung chinesischer Kunden. Ruft das Ursprungsland ein positives Image hervor, empfiehlt es sich, dieses in der Kommunikation aufzugreifen. Französische Produkte stehen in China für Luxus und Romantik, amerikanische für Freiheit, Lebensgefühl und Individualität. An deutschen Produkten schätzen Chinesen schließlich die Qualität, Zuverlässigkeit und Solidität. Von Flaggen über Slogans bis hin zu Qualitätssiegeln gibt es zahlreiche Möglichkeiten, einen Hinweis auf die ausländische Herkunft in die Produktdarbietung zu integrieren. Auch der Einsatz von ausländischen Werbedarstellern oder stereotypischen musikalischen Elementen ist überlegenswert. Wie ein Leuchtturm bietet der Einsatz dieses Instrumentes dem Konsumenten Orientierung in der täglichen Unübersichtlichkeit und Flut neuer und fremder Produkte.

Welche Rolle spielen in China die digitalen Kanäle für den Mediamix im Vergleich zu klassischen Medien wie Print, TV und Hörfunk?

Der chinesische Werbemarkt ist nach den USA der weltweit zweitgrößte und wächst doppelt so schnell wie der amerikanische. Moderne Technologien sind der bedeutendste Treiber. China hat nicht nur die größte aktive Internetbevölkerung, es ist im globalen Vergleich auch der größte E-Commerce- und Smartphonemarkt. Die chinesische Mittelklasse ist digital aktiv und in sozialen Medienapps wie Wechat vernetzt.

Der Wert der digitalen Werbung hat den Bereich TV überholt, gleichwohl TV als Massenmedium weiterhin bei Reichweite und Einfluss punktet. Vor allem Printmedien verzeichnen durch das veränderte Mediennutzungsverhalten einen Abwärtstrend. Außenwerbung kann in vielen Varianten eingesetzt werden, wie Shanghais Hochhausfassaden in Pudong mit ihrem täglichen Spektakel an leuchtenden Werbeprojektionen eindrucksvoll belegen. Radio schließlich ist ein vergleichsweise kleiner Kanal, der allerdings durch die zunehmende Mobilisierung der Bevölkerung nicht uninteressant ist. Alles in allem zeigt sich auch im Werbemarkt die starke Dynamik, die das moderne China antreibt und prägt. Wer hier seine Strecken erfolgreich bestreiten will, muss einen „Langen Marsch“ einplanen. Wer sich auf einen Sprint einstellt, wird keinen Bestand haben.

Quelle: https://www.springerprofessional.de/internationales-marketing/produktstrategie/das-chinageschaeft-ist-kein-sprint-sondern-ein-langer-marsch-/10092980

China-Marketing - Geschäftserfolg im Reich der Mitte

China-Marketing – Geschäftserfolg im Reich der Mitte

Dieser Ratgeber vermittelt die entscheidenden Faktoren für ein erfolgreiches Marketing in China. Praxisorientiert und verständlich bringt er auf den Punkt, wie Unternehmen in diesem ebenso spannenden wie herausfordernden Marktumfeld bestehen können. Anhand zahlreicher Beispiele erhält der Leser Orientierung und Anregung, um für die eigene Marke eine erfolgversprechende Strategie für den chinesischen Markt zu erarbeiten.

 

Über China Marketing Blog

Führender Blog zum Thema China Marketing herausgegeben von China-Experte Dr. Dr. Andreas Tank. Praxisbeispiele, Fallstudien, Informationen, Hintergrundanalysen.
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