Chinas süßer Goldrausch

Langnese Honig auf China-Expansion. © at

Langnese Honig auf China-Expansion. © at

Mit einem Marktanteil von gut 26% ist China der größte Honigproduzent der Welt und einer der globalen Hauptexporteure. Laut Auskunft der Dachorganisation der EU-Landwirte sind die chinesischen Honigimporte allein in der Europäischen Union innerhalb der vergangenen fünf Jahre um 50% gestiegen. In einer jüngst überreichten Petition macht der Verband seinem Ärger über niedrige Preise und noch niedrigere Qualität Luft. Wie ein Blick in die chinesische Presse verrät, bekommt er argumentative Unterstützung aus dem Herkunftsland selbst: Die Jinan Times berichtete vor wenigen Monaten, dass zwischen 60 und 70% des in China lokal produzierten Honigs gefälscht sei. Fertigen Fruktose-, Rüben- oder Reis-Sirup in Honig unterzumischen ist schließlich profitabler. Für fachunkundige Konsumenten ist der Unterschied nicht zu erkennen, noch dazu, wenn die Verpackung attraktiv und der Preis überzeugend sind. Doch die Kennzeichnung „100% Naturhonig“ ist definitiv eine Täuschung. CCTV berichtete über einen weiteren Fall in der regierungsunmittelbaren Stadt Chongqing, wo über 500kg falscher Nektar beschlagnahmt wurde. Das Endprodukt habe null Prozent Honig enthalten, im Gegenteil: Auf 1.000g wurden 18mg Aluminiumrückstände nachgewiesen. Die Nachricht breitete sich in Chinas Onlineforen rasant aus. Ein Nutzer kommentierte spöttisch, Chinese und Experte für Lebensmittelsicherheit zu sein, sei zunehmend identisch.

Honig nach China zu exportieren ist vor diesem Hintergrund kein „Eulen nach Athen tragen“, sondern wirtschaftlich gesehen eine bedeutende Opportunität. Schließlich genießen westliche Produkte bei chinesischen Konsumenten ein hohes Ansehen und haben ein starkes Potenzial, das tiefe Kundenbedürfnis nach Qualität und Sicherheit zu befriedigen. Dieses kommt Unternehmen wie Langnese (琅尼斯, lang-ni-si) zugute, das seit zahlreichen Jahren in China kräftig expandiert. Die Hamburger Traditionsfirma hatte interessanterweise schon vor ihrer Taufe einen China-Bezug. Denn deren Gründer, Karl Rolf Seyferth, war Geschäftsführer der „Deutsch-Chinesischen Eiprodukten Gesellschaft“, als er in seiner Funktion als Importeur 1924 wortwörtlich auf den Honig kam und 1927 mit der Hamburger Biskuit-Fabrik von Viktor Emil Heinrich Langnese inkorporierte. Langnese Honig avancierte zum unangefochtenen Marktführer seit nunmehr 55 Jahren und mit einer gestützten Bekanntheit von über 96% zur bekanntesten Honigmarke in Deutschland. Auf dieses Unterpfand setzt der Honighersteller mit dem unverwechselbaren wabenförmigen 6-Eck-Glas auch in China. Unter der Applikation der schwarz-rot-goldenen Landesfahne folgt ein Verweis auf die hundertprozentige Importeigenschaft: 德国原装进口. Neben den Klassikern Sommerblüte, Feinste Akazienblüte oder Gelée Royale setzt Langnese in China auch auf ansprechende Geschenkverpackungen, beispielsweise mit Wabenmotiven, kolorierten Naturlandschaften und dem Maskottchen, der bienenfleißigen Sabienchen. In der Zeit zwischen Weihnachten und dem Chinesischen Neujahrsfest sind diese besonders populär und haben einen signifikanten Einfluss auf den jährlichen Umsatz.

Während die Bienenzucht im Mittelmeerraum schon um 2.400 v. Chr. nachgewiesen werden kann, gehen Chinas erste Honigtraditionen lediglich bis in die Han-Dynastie zurück (206 v. Chr. – 220 n. Chr.). Als diätetisches Lebensmittel findet Honig erstmals in der Späten Han-Zeit in „Shennongs Klassiker der Drogenkunde“ Erwähnung (神农本草经, Shennong bencaojing). Anno dazumal galt Honig als rares Lebensmittel und musste in großen Mengen über die Seidenstraße aus Samarkand im heutigen Usbekistan eingeführt werden. Noch vor 1700 wurden über vier Fünftel des Honigs von wilden Bienen gesammelt und nur knapp 20% von kultivierten. In der Folge wurden in China nie große Honigerträge erzielt, was sich erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts durch die Einführung westlicher Methoden änderte.

Verwendung findet Honig neben der chinesischen Medizin – hier als Arzneimittel oder als Bindemittel zur Pillenherstellung – selbstredend in der Küche zum Beispiel als Würzmittel, zur Konservierung von Früchten oder zur Herstellung von Honigwein. Gleichwohl Chinas jährlicher Pro-Kopf-Verbrauch in den Achtzigern mit 36g noch weit abgeschlagen hinter den USA (500-600g) oder Deutschland (1.200-1.300g) lag, ist das aufstrebende Land laut einer Studie der Vereinten Nationen heutzutage der weltgrößte Konsument von Honig mit jährlich 238.000 Tonnen. Kaum vorstellbar erscheinen die Relationen vor dem Hintergrund, dass für 150g Honig ungefähr 20.000 Bienenflüge nötig sind, wobei eine Biene pro Tag um die 40 Ausflüge macht und 4.000 Blüten besucht.

Summa summarum liegt der aktuelle jährliche Pro-Kopf-Verbrauch damit bei gut 175g, was zwar eine Verfünffachung in den letzten drei Jahrzehnten bedeutet, aber lediglich ein Drittel des durchschnittlichen Konsums in der EU darstellt. Hoffnungsvolle Perspektiven also für die „Marke des Jahrhunderts“ Langnese. Allem Anschein nach gilt folglich: Der süße Goldrausch in China ist noch lange nicht beendet. at

Über China Marketing Blog

Führender Blog zum Thema China Marketing herausgegeben von China-Experte Dr. Dr. Andreas Tank. Praxisbeispiele, Fallstudien, Informationen, Hintergrundanalysen.
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