Teil I: Zwischen Faszination und Furcht
Seit Beginn der chinesischen Öffnungs- und Reformpolitik Anfang der achtziger Jahre haben sich die Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Volksrepublik China auf allen Ebenen intensiviert. Deutschland ist heute Chinas bedeutendster europäischer Handelspartner und China ist Deutschlands wichtigster Partner in Asien. Seit 2011 werden Regierungskonsultationen abgehalten und auch kulturell floriert der gegenseitige Austausch. Die dreijährige Imagekampagne „Deutschland und China – ‚Gemeinsam in Bewegung’“ (2007-2010) war eine der größten Veranstaltungen, mit der sich Deutschland jemals im Ausland präsentiert hat. Über allem meldet die Volksrepublik seit Jahrzehnten Aufsehen erregende Wirtschaftsdaten und Wachstumszahlen, die eine starke Anziehungskraft auf Akteure aus aller Welt ausüben und signalisieren, dass an der aufstrebenden Macht China kein Weg vorbeiführt.
In diesem Marktumfeld gleicht jede kleinste Bewegung einer Peripetie und so darf es kaum verwundern, dass der westliche Beobachter den deklarierten Zukunftsmarkt im Spannungsfeld zwischen Faszination und Furcht wahrnimmt, was auch ein Blick auf die Aufmacher sowie die z. T. populistische Berichterstattung der nationalen und internationalen Presse deutlich zeigt. „Die unheimliche Macht aus Asien“ (Süddeutsche Zeitung), „China wird gefährlich gut“ (Focus), „China buys the world“ (Fortune), „China – Die unheimliche Weltmacht” (Stern), „Die Gelben Spione“ (Der Spiegel) oder „Chine – les nouveaux maîtres du monde“ (Le Point) wechseln sich ab mit euphorischen Meldungen wie „Shanghai-Fieber“ (Welt am Sonntag), „Gelbes Glück“ (FAZ), „Uncle Hu wants you“ (Handelsblatt) oder kurz „Wahnsinn China” (National Geographic). „Mehr als 1,3 Milliarden Kunden“ lautete es vor Jahren noch in einer Werbeanzeige von DHL, wobei pikanterweise nicht unterschlagen werden darf, dass deren Tochter DHL Express 2011 dem Wettbewerb nicht mehr standhalten konnte und seinen Rückzug bekannt gab.
Die sogenannte „Chineseness“ – das im Zuge in- wie ausländischer Rezeption gezeichnete, der Weltöffentlichkeit präsentierte, nichtsdestotrotz konstruierte Chinabild – steht einer Vermittlung der wahren chinesischen Identität entgegen, wie kulturwissenschaftliche Forschungen unter dem Schlagwort der „Alterität“, der Konstitution und Konstruktion von Identität, aufzeigen.
Bereits im 19. Jahrhundert stand China als aufstrebende Wirtschaftsmacht im Fokus der europäischen Öffentlichkeit und nahm etwa in deutschen Kulturzeitschriften um 1900 sehr breiten Raum ein. Damit avancierte es zum Wirtschaftsboomland per se: „Ganz China, von Nord nach Süd, von Ost nach West, ist ein ewiger Markt und eine permanente Messe das ganze Jahr hindurch.“ (Huc/Gabet, 1874) Wissenschaft, Industrie und Presse verfolgten fasziniert alles, was auf China Bezug hat, die Beziehungen wurden enger, das Land sei „berufen“, „einen nicht unwesentlichen Einfluß auf unsere Handels- und Industrieverhältnisse auszuüben“, schreibt der deutsche Gesandte Max von Brandt 1898, spricht aber gleichzeitig von einer „wahrhaft kindlich rührenden Unwissenheit“ der Westler, welchen die so fremdartige Kultur verschlossen bleibt. Ein Zitat aus dem Reisebericht eines russischen Missionars von 1826 kann hier stellvertretend stehen für viele andere, aber vielleicht weniger das Charisma erfassende Äußerungen: „Das Schicksal verschönerte mein Leben durch ein seltenes, unvergessliches Ereignis: ich sah China.“
Doch die Markterschließung war schwieriger als gedacht, was nach außen hin wie ein attraktiver Markt aussah, war innen voller Komplikationen. Manch einer scheiterte an Hürden wie etwa der starken Konkurrenz und dem Preiskampf oder den beschränkten Handelsrechten. Hinzu kamen technologische Rückständigkeit, Produktfälschung, fehlende Rechtssicherheit und nicht zuletzt: Die so völlig andere Sprache und Kultur. Trotz ihrer Anziehungskraft sei die ostasiatische Geisteswelt „etwas fremdartiges, seltsames, unverständliches“ geblieben, meint der Sinologe Otto Franke 1911 und resümiert: „Es wäre manches anders gekommen …, wenn man sich etwas mehr um das chinesische Geistesleben und seine Geschichte gekümmert, d.h. wenn man etwas mehr Sinologie getrieben hätte.“ Einmal mehr erwies sich Asien und insbesondere China als „anderer Globus“ (Leibniz, 1705), „Heterotopie“ (Foucault, 1966) oder „das große Gegenprinzip Europas“ (Osterhammel, 2008), demgegenüber die westliche Kultur „Hellas und Rom mit eingeschlossen, als winzige Gebilde“ (Franke, 1905) da stehen, welche „eine nach der anderen hinschwanden.“ (Schrameier, 1921) China aber hat seine Kultur durch die kontinuierliche Vernetzung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lebensfähig erhalten. McGregor fokussiert das chinesische Phänomen der Synchronizität von Kontinuität und Wandel: „With one root firmly in the past, and the other stepping into the future, China is simultaneously the world’s largest startup and turnaround.“
Wie tief aber reicht der Wandel Chinas, von dem „millions of tourists, thousands of journalists, and scores of presidents and prime ministers” (Mann, 2008) aufgeregt sprechen? Grover Clark postuliert 1936, der „Wirrwarr“, wie er das Phänomen benennt, sei lediglich eine „augenfällige“, also äußere Erscheinung, und fordert diejenigen, die „verstehen möchten, was China heute ist“, dazu auf, die „tieferen Ströme“ zu beachten, „deren Bewegungen diese Oberflächenbilder verursachen“. Und der Sinologe Richard Wilhelm urteilte 1921: „Ganz langsam und allmählich fängt es an, aber mit immer wachsender Beschleunigung rollt das Rad des Geschehens weiter, dieses Rad der Wiedergeburt, das Altes, Überlebtes mit sich hinunter nimmt in die Unterwelt des Vergessens und Neues, nie Dagewesenes aus dem Nichts emporhebt. Seine Keime und Anknüpfungspunkte liegen in der Vergangenheit. Wer die Keime des Werdens zu deuten versteht, vermag aus ihnen die Zukunft zu lesen.“
In Bezug auf die Erfordernisse der Marktbearbeitung in China bedeutet dies vor allem ein Gebot der Vergegenwärtigung dessen, was sich ändert und was nicht, was also heute noch als kultureller Einflussfaktor zu gelten hat. Anhand der Bereiche Kommunikation und Kundenansprache soll diese Erfolgsdeterminante näher beleuchtet werden. at
=> Teil II „Kommunikation und Kundenansprache“ in Kürze
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