Erotik und sexuelle Anspielungen in Kommunikationsmaßnahmen sind ein Spiel mit gesellschaftlichen Konventionen, das in der westlichen Welt ein Niveau erreicht hat, von dem man stets glaubt – oder hofft –, es könne nicht weiter unterschritten werden. Provokante Motive sorgen für Gesprächsstoff in breiten Teilen der Gesellschaft und die umworbene Marke ist rein sprichwörtlich in aller Munde. Ob Benetton, Calvin Klein, Pirelli oder H&M – wer erinnert sich nicht an die unzähligen Pressemeldungen über Auffahrunfälle und gestohlene Plakate aus Werbekästen, wenn Supermodel Claudia Schiffer im schlüpfrigen Dessous oder Fußballstar David Beckham im engen Slip posierte?
Auch in China ist die erotische Werbeansprache nicht unbekannt, wie die gezeigte Kompilation belegt. Gleichwohl Artikel 7 des chinesischen Werbegesetzes vorgibt, dass „obszöne” oder „geschlechtsdiskriminierende“ Werbemaßnahmen unzulässig sind, ist das Spiel mit der Gürtellinie sogar auf dem Vormarsch.
Der amerikanische Journalist Edgar Snow (1905–1972) schilderte in dem posthum veröffentlichten Buch „Die lange Revolution“ die seinerzeit vorherrschende chinesische Einstellung zu dem Thema „Mann und Frau“. Im vorkommunistischen China konnte eine unverheiratete Frau ihre Heiratsfähigkeit verlieren (oder sogar gesteinigt und öffentlich misshandelt werden), wenn sie allein mit einem Mann auf einem Feldweg wandelnd gesehen wurde. In den sechziger Jahren betrachtete man zwei junge Leute als verlobt, wenn sie sich ein- oder zweimal zu einer Radtour verabredeten.
Heutzutage ist China mit einem Anteil von über 70% der weltgrößte Hersteller von Sexspielzeug und „Adam and Eve Health Care Centres“ sind landesweit in jedem Stadtbild präsent. Willkommen zurück in der späten Ming-Periode? Die Blütezeit der erotischen Geschichten und Un-Sittenromane, in der auch der berühmte Roman Jin Ping Mei (金瓶梅) entstand und die – basierend auf der taoistischen Vorstellung, durch sexuelle Praktiken die Unsterblichkeit zu gewinnen – geprägt war durch eine Synthese von Erotik und Religion. Adrian Baar resümiert in „Erotische Geschichten aus China“ gar, der Taoismus sei die „lustfreundlichste Religion der Welt“. BASF brachte zu Zeiten des Kaiserreiches Werbegeschenke in Form von Mädchenbildern auf den Markt, darunter eine Frau mit blühendem Pflaumenbaumzweig. Im genannten Klassiker sind mit „Pflaumenblüten“ schöne Frauen gemeint.
Angesichts der abgebildeten Werbeanzeigen, darunter eine Dessouswerbung von Triumph, die mit den Slogans „Dangerous! Curves. maXimizer. Dare to be dangerous!“ wirbt, ein Schaufensterplakat der Modemarke Esprit sowie ein Poster des chinesischen Bierproduzenten Yanjing, stellt sich die Frage nach dem Interpretationsspielraum der gesetzlichen Vorgaben und den schlussendlichen Genehmigungskriterien.
Selbst wenn vornehmlich westliche Akteure als Darsteller zum Einsatz kommen, die von Deng Xiaoping anvisierten Zielsetzungen einer „geistigen Zivilisation” scheinen in weite Ferne gerückt. Zwar ist die Häufigkeit und Flächenpräsenz von erotischen Werbeelementen im chinesischen Markt noch weit vom westlichen Niveau entfernt – das Motto „Sex sells“ verfehlt auch hierzulande seine Wirkung nicht.
Der Kitzel zwischen Gesetzgeber und Werbewirtschaft bleibt mit Spannung zu beobachten. at
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