Wer glaubt, in diesen Tagen hätte der Osterhase eine unangefochtene Monopolstellung, der hat sich getäuscht. Kulturelle Hybridbildung, wo man nur hinschaut, in Ost und West, jetzt auch in der Domäne abendländischer Ostersymbolik Wettbewerb aus China! Immerhin hausgemacht, wie eine in Gelb gehaltene Präsentdose in Eiform und mit Drachenmuster aus dem Hause Lindt & Sprüngli eindrucksvoll belegt. Überhaupt ist die Zunahme fernöstlicher Symbole und Bilder, zumindest, was im Westen darunter subsummiert wird, in deutschen Supermärkten und Einrichtungshäusern unübersehbar.
Erleben wir eine ubiquitäre Renaissance der Chinoiserie? Der Drache war schon zu damaliger Zeit überaus beliebt, wie anhand des Drachenhauses aufgezeigt werden kann, das Ende des 18. Jahrhunderts in der Potsdamer Parkanlage Sanssouci im Stil einer chinesischen Pagode entstand und dessen Dach imposante Drachen zieren. Ob Gebäude, Möbel, Tapeten, Flakons oder Porzellanware – der Drache vereinte alle Sehnsüchte nach dem exotischen Land. Doch trotz seiner visuellen Ähnlichkeit, weicht die symbolische Bedeutung in den Kulturkreisen weit voneinander ab. Der westliche Drache steht für das Böse, in der christlichen Legende zog der Heilige Georg aus, um das Ungeheuer zu töten, in China dagegen gilt er als Art Totem der Nation, Repräsentant der traditionellen Kultur, Glücksbringer und magisches Wesen, das mit den Göttern im Himmel zusammenlebt.
Über Jahrhunderte ist eine Ambivalenz des China-Bildes zu konstatieren, die während der globalen Großereignisse wie die Olympiade in Peking 2008 und die Shanghaier Weltausstellung 2010 eine historische Dimension eingenommen hat: So bestimmt wie vielleicht niemals zuvor sah sich das diffuse Konstrukt westlicher Chinarezeption – Lee spricht von „Chinas Unlimited“ – mit einer an Stringenz gewinnenden Identitätskonstruktion auf chinesischer Seite konfrontiert. Erinnert sei an ein Starbucks Café in der Verbotenen Stadt in Peking, das bereits 2007 nach einer kontrovers geführten Debatte über westlichen Kulturimperialismus und chinesische Identität schließen musste.
Die Eröffnungs- und Abschlussfeierlichkeiten dieser Veranstaltungen enthalten eine Vielzahl an bildlichen Symbolen mit kulturellen Bedeutungsgehalten, kulturelle Repräsentanten eines von chinesischer Seite erwünschten Chinabildes. Zu nennen sind hier beispielsweise Trommeln (鼓), Silberglocken (银铃) oder der Kreis (圆) als Zeichen für Harmonie, Erneuerung, Glück und Helligkeit. In diesem allusiven, kodierten Kontext sind auch die „China Time-honored brand“-Bemühungen (中华老字号) sowie die Bank of China-Anzeigenkampagne „Beauty of China – Show the world“ (中國之美 世界看見) zu nennen. Zunehmend kommen Publikationen auf den chinesischen Buchmarkt, die sich mit dem Thema „Chinese Stuff – Essentially Chinese“ en détail auseinandersetzen und bei der singapurischen Buchhandelskette Page One die Bestsellerlisten anführen. Die zugrundeliegende politische Zielsetzung spiegelt sich in dem Vorwort eines gleichnamigen Werkes wider: „In the modern consumer society, the powerful media and omnipresent advertisements are ushering globalized commodities into our lives at an unprecedented speed. It seems to take us only one night to get exactly the same things as most people in the rest of the world do, for instance, Coca Cola, iPod and Nokia. Most of these commodities are very influential, being designed for imaginary customers of an identical lifestyle. (…) Still, there are a great number of ordinary objects that have been used everyday and reflect a nation’s characteristics. (…) As the level of globalization deepens, Chinese are adopting fresh angles in viewing their own life. (…) Although most of the ‚Chinese things‘ we discuss here are not meticulously made or involve latest technology, they nevertheless enable readers to catch glimpses of the Chinese way of thinking, which opens a window to the Chinese culture.“ Sind es die historischen Paläste oder Tempel mit ihren großen roten Laternen und Löwenstatuen? Sind es womöglich Pandabären – wie sie auf einer Werbekampagne der Provinzhauptstadt Chengdu zu sehen sind, die mit dem Slogan „Real China – Hometown of Pandas“ auf sich aufmerksam macht? Ist es der öffentliche Zahnarzteingriff auf der Straße, um den sich Touristen scharen und über den sie später berichten werden, diese Szene sei „typisch chinesisch“? Oder – im Zeitalter digitaler Kurznachrichten und Akronyme – „T I C“; es steht für „This is China“.
Diese subjektiven Momentaufnahmen in einem sich rasant und inhomogen entwickelnden Land können sich zu nicht mehr als einem Chinabild akkumulieren, das singulär zwar präzise erscheint, gesamtgesellschaftlich jedoch vage bleibt und „chinesische Essenz“ (ti, 体) zumeist vermissen lässt. Diese hatte einst der Vordenker der chinesischen Öffnungs- und Modernisierungspolitik, Deng Xiaoping, – wohl wissend, dass „starke Bilder fremder Kulturen“ (Haustein) die eigene herausfordern – als „geistige Zivilisierung“ im Gegensatz zur ausschließlichen „Anwendung westlicher Produkte“ (yong, 用) gefordert.
Es bleibt zu untersuchen, welche „Things Chinese“ das Chinabild im Westen dominieren und welche von chinesischer Seite bestimmt sind, als Repräsentanten ihrer 5.000-jährigen Kultur zu dienen. Der Drache wird dabei sicherlich auch in Zukunft eine Spitzenposition auf beiden Seiten belegen.
Noch sind im Kern der chinagelben Ummantelung klassische Osterspezialitäten aus feiner Schweizer Schokolade zu finden. Doch wie werden diese Bilder und Symbole unsere eigene Kultur herausfordern? Beim Einsatz von kulturellen Elementen ist höchste Vorsicht geboten und verkaufsfördernde Exotik fehl am Platz. Frohe chinesische Ostern? Frohe Ostern! at
Du muss angemeldet sein, um einen Kommentar zu veröffentlichen.