Die „Black Box China“ lässt sich öffnen

Andreas Tank, Gründer und Geschäftsführer der China Competence, Shanghai, im Gespräch mit ChinaContact Chefredakteur Peter Tichauer.

Andreas Tank, Gründer und Geschäftsführer der China Competence, Shanghai, im Gespräch mit ChinaContact Chefredakteur Peter Tichauer.

Chinesen zeichnen sich durch einen gesunden Patriotismus aus. Sie sind – zu Recht – stolz darauf, was ihr Land in den vergangenen Jahren erreicht hat. In bestimmten Bereichen bleiben sie aber auch misstrauisch, und wachsender Wohlstand macht es ihnen leicht, misstrauisch zu sein und lieber bei importierten statt einheimischen Lebensmitteln zuzugreifen. Jeder, der in große Supermärkte geht, wird feststellen, dass es längst ein breites Angebot importierter Lebensmittel gibt, zumindest in den großen Metropolen. Der Schein trügt aber.

Viele Hersteller hochqualitativer Lebensmittel, auch die sogenannten „Kleinen“, könnten in China gute Geschäfte machen, sind im Land aber nicht vertreten. Andreas Tank ist dies ein Dorn im Auge. Der 38-Jährige, der über 15 Jahre China-Expertise verfügt, hat gerade die Handelsvertretung China Competence gegründet. Konsumgüterherstellern ohne Management in China dient sie als lokale Plattform und transparente „externe Tochtergesellschaft“. „Wir haben Auge und Ohr am Markt und übernehmen die für den Erfolg entscheidende Steuerung und Kontrolle der Distributionspartner, um die Potenziale besser auszuschöpfen sowie Geschäft und Marke nachhaltig aufzubauen“, sagt Andreas Tank, der über die Jahre unverändert feststellt, dass China nach mehr als drei Jahrzehnten Öffnung für viele Unternehmer in Deutschland noch immer so etwas wie eine „Black Box“, ein „Buch mit sieben Siegeln“ ist. Und er konstatiert, „bei China werden noch zu oft alle betriebswirtschaftlichen Maßstäbe über Bord geworfen“ und „das Grundverständnis für Wirtschaft wird ausgeschaltet“. Viele deutsche Unternehmen schauten sich den Markt erst an, wenn der „Kuchen schon aufgeteilt ist“.

Es würde doch keiner auf die Idee kommen, den Vertrieb für ganz Europa ausschließlich und exklusiv aus Oslo zu lenken, meint er. In China, „eigentlich kein Land, sondern ein Kontinent“, gehe das aber, glaubt noch immer der eine oder andere Unternehmer. „Nein“, sagt Andreas Tank, „das funktioniert nicht. Hier wird ein verzweigtes Distributionsnetz gebraucht“, bei dessen Aufbau spezielle Gewohnheiten der Verbraucher berücksichtigt werden müssten. Verpackungsgrößen beispielsweise. Diese heute scheinbar vergessenen Erfahrungen hätten schon vor mehr als 100 Jahren Unternehmen wie die heutige BASF gemacht, hat der studierte Volks- und Betriebswirt in seiner zweiten Doktorarbeit über Marketing-Strategien für China nachgewiesen. „Erst als die Pigmentstoffe löffelweise verkauft wurden, konnte die breite Masse erreicht und ein beachtlicher Marktanteil gewonnen werden.“ Der Namensgeber seines Lemgoer Gymnasiums, Engelbert Kämpfer, habe seine Asien-Faszination ausgelöst, so Andreas Tank. Kämpfer, wie Tank in Lemgo geboren, war einer der ersten Europäer, die es Ende des 17. Jahrhunderts an den japanischen Kaiserhof geschafft haben und dessen Forschungsberichte im 18. Jahrhundert das europäische Japan-Bild prägten. Beim Wirtschaftsstudium in Kassel war es dann die Vorlesung der Sinologin Gerlinde Gild zum Transaktionswesen im Asienmanagement, die so etwas wie ein „Blitzeinschlag“ gewesen sei, ein „Schicksalsmoment“. Ende der 1990er sei es noch nicht üblich gewesen, Sinologie und Wirtschaftswissenschaften zu kombinieren, erinnert sich Andreas Tank, der aber meinte, so die Möglichkeit zu haben, „etwas Faszinierendes zu machen“. Im Folgenden beschäftigte er sich in seinen Studien unter anderem mit Joint-Venture-Investitionen und den Besonderheiten der chinesischen Sonderwirtschaftszonen. In seiner ersten Dissertation, für die er zu mehrmonatigen „Feldstudien“ nach China kam, ging es dann um die Frage, wie allgemeine Marketing-Theorien in der China-Praxis umgesetzt werden können und müssen.

Den Kunden zur Marke führen

Eine seiner wesentlichen Erkenntnisse ist, dass die Unternehmen einen Weg finden müssen, „um die Kunden abzuholen“. Die Marke müsse sichtbar gemacht, der Kunde zur Marke geführt werden. Hier kommt Andreas Tank wieder auf die BASF-Erfahrungen zu sprechen und erklärt, genau diese auch als Controller in der Pekinger Viessmann-Niederlassung umgesetzt zu haben, wo er sich nach dem Studium seine ersten beruflich Sporen verdient hat. Da das Projektgeschäft im Heizungsbau relativ volatil sei, sei es um so wichtiger, stabile Umsätze im Einzelhandel zu erzielen, so Andreas Tank, der sich erinnert, mit seiner Idee, chinaweit „Heizungs-Boutiquen“ aufzubauen, im Headquarter Reaktionen zwischen Lachen und Ablehnung hervorgerufen zu haben. Nicht so beim Eigentümer des Familienunternehmens, der „visionär ist, langfristig denkt und innovative Ideen unterstützt“. Er lebe den Slogan seines Unternehmens: „Climate of Innovation“. Mit seinem Pekinger Team hat Andreas Tank wenigstens 300 Showrooms in ganz China aufgebaut, einheitlich gestaltet – da war der Manager sehr genau und geradezu pingelig. Das Ergebnis konnte sich sehen lassen, ist Andreas Tank auch heute noch stolz: „Die Verkaufszahlen von Viessmann-Geräten sind stabil gestiegen.“ Mehr noch: Dem Viessmann-Beispiel folgten inzwischen viele andere Unternehmen. Spät, meint Andreas Tank, aber nicht zu spät. Inzwischen erlebt China eine digitale Revolution und ist dabei europäischen Märkten weit voraus. „Wenn ich in Deutschland lande, denke ich oft: Ich komme aus der Zukunft in die Vergangenheit zurück.“

Selbstverständlich stellt sich die Frage, wie ausländische Konsumgüter- und Lebensmittelhersteller vom boomenden Online-Handel profitieren können. Vielleicht reicht es ja ganz und gar aus, nur auf das Internet zu setzen? Andreas Tank hält dagegen, dass nach heutigen Prognosen in den kommenden Jahren potenziell 30 Prozent des chinesischen Einzelhandels im E-Commerce abgewickelt werden. Nicht nur virtuell im Markt zu sein, sei auch deshalb wichtig, weil selbst Online-Käufer Marken erst sehen und fühlen wollen, ehe sie sich für ein Produkt entscheiden. „Der E-Commerce hat zwar den Vorteil, den Handel schnell und landesweit ausrollen zu können, zu günstigeren Kosten als im stationären Handel.“ Aber ganz so einfach sei es eben doch nicht: Auch hier müssen sich Anbieter Gedanken über Logistik und Zahlungsabwicklung machen, die den chinesischen Erwartungen entsprechen. Die Versandgrößen müssen definiert, die Marken sichtbar gemacht werden. Bei Letzteren sollte auch auf Prominente als Markenbotschafter gesetzt werden. Die Unternehmen müssen sich Traffic „kaufen“ und dafür sorgen, dass sie sich im Wettbewerb mit Alleinstellungsmerkmalen Positionen sichern. „Dabei sind in China andere Werte zu berücksichtigen. Wenn etwa ein Bierhersteller in Deutschland mit einer langen Familientradition seines Unternehmens werben kann, reicht das in China nicht aus.“ Eine sichere und nicht unterbrochene Kühlkette, für deutsche Konsumenten vermutlich nichts, was sie hinterfragen würden, könnte in China beispielsweise für Pluspunkte sorgen. Wichtiger noch ist, dass in China anders als in Deutschland, wo auf den jeweiligen Unternehmensseiten Shops eingerichtet werden, zentrale e-Commerce-Plattformen dominieren. Hier richtig ins Licht gerückt zu sein, sichert den Verkaufserfolg.

Wir brauchen auch den chinesischen Blick

Grundsätzlich empfiehlt der Manager jedem Unternehmen, das Portfolio seines Chinageschäfts aus dem Blickwinkel des Marktes zu betrachten und weniger aus der Sicht der Firmenzentrale. „Denn was sich weltweit gut verkauft, muss sich nicht unbedingt in China gut verkaufen.“

Andreas Tank weiß, wovon er spricht. Nach seinen Viessmann-Jahren war er sozusagen der „Mister Haribo“ in China. Für den Bonner Gummibärchen-Hersteller hat er Unternehmens- und Marketingstrategien entwickelt. Da ging es unter anderem auch darum, herauszufinden, welche Geschmacksrichtungen die Chinesen bevorzugen, um diese dann gezielt zu platzieren. Was er schon bei Viessmann getan hatte, hat er bei Haribo weiter perfektioniert: Den Spieltrieb der Konsumenten nutzend, über das Internet beziehungsweise Smartphone Kundenbindungen herzustellen. Das ist eine weitere Erfahrung des jungen Managers. Wenn er sagt, der Kunde müsse zum Produkt geführt werden, dann bedeute dies auch, Trends im Alltag zu beobachten und diese für das Geschäft nutzbar zu machen. Die „Black Box China“ ließe sich durchaus öffnen, sagt Andreas Tank. Dazu gehöre allerdings auch die Bereitschaft, sich auf das Land und seine vielfältige Kultur einzulassen. Er hat das mit den ersten Schritten getan, die er 2004 das Flugzeug verlassend in das Pekinger Terminal 2 gesetzt hat. „Damals war mir klar: Hier gehöre ich hin.“

Fast eineinhalb Jahrzehnte später stellt Andreas Tank fest, dass deutsche Handelsgesellschaften die chinesischen Erfahrungen beim Aufbau elektronischer Handelskanäle nicht ignorieren, sondern vielmehr in ihren internationalen Strategien berücksichtigen sollten. „Mobiles Zahlen, schnelle Auslieferung plus Service“, darauf komme es an, stellt er fest, gibt jedoch auch zu, dass in Chinas Metropol-Regionen mit vielen Millionen Einwohnern der Nährboden für die Entwicklung des e-Commerce fruchtbarer als in seiner Heimatstadt Lemgo ist. Der nächste Supermarkt sei dort um die Ecke und ohne Stau erreichbar. Und der Parkplatz – gratis. Peter Tichauer

Veröffentlicht in: ChinaContact, 12.2017

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