Erfolgreicher Nestbau eines Schweizer »Spatzen«, Nestlé – mehr als 100 Jahre in China

Tradition als Marketingstrategie genutzt: Geschenkverpackungen anlässlich des Chinesischen Neujahrsfests.

Tradition als Marketingstrategie genutzt: Geschenkverpackungen anlässlich des Chinesischen Neujahrsfests. (© at)

Drei Jahrzehnte rasantes Wirtschaftswachstum hat es gedauert, um das Entwicklungsland China als zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt zu positionieren. Es gibt kaum ein westliches Unternehmen, das keine Maßnahmen ergriffen hat, um an dieser Entwicklung zu partizipieren. Dazu zählt auch die Nestlé S.A., deren chinesische Töchter allein 2010 um elf Prozent gewachsen sind und ihren Umsatz auf 2,79 Milliarden Schweizer Franken gesteigert haben.

Damit gehört die Region China nicht nur zu den Top-Vier-Wachstumsmärkten, sondern auch zu den Top 10 umsatzstärksten Märkten des in weit über achtzig Ländern operierenden Konzerns. Innerhalb dieser zehn muss sich China allerdings noch mit einer Position zwischen Kanada und Australien begnügen, sprich Ländern, deren Einwohnerzahl eher mit der Bevölkerung von Chongqing oder von Shanghai vergleichbar ist.

Noch reichlich Potenzial

In China steckt für das Unternehmen aus Vevey also noch reichlich Potenzial, das es für seine zahlreichen Marken wie Pure Life, Maggi, Nescafé oder KitKat in den unterschiedlichsten wettbewerbsintensiven Segmenten zu erschließen gilt. Marketing kommt hier eine Schlüsselrolle zu.

Dem Marktbeobachter fallen schnell Außenwerbungen, Sponsorships oder diverse Formen sichtbarer Einbringung in die chinesische Gesellschaft im Rahmen von Corporate-Social-Responsibility-Aktivitäten auf. Doch vor allem im Detail zeigt sich, welches Maß an lokaler Kompetenz die Schweizer, deren chinesischer Name 雀巢 (que chao) in Anlehnung an das Firmenlogo übersetzt »Spatzennest« bedeutet, aufbringen, um den chinesischen Konsumenten zum Produktkauf zu bewegen.

Gerade im unternehmerischen Kernbereich der Lebensmittel ist zu berücksichtigen, dass das Geschmacksempfinden stark lokal geprägt ist. So gibt es Nestea beispielsweise mit dem Aroma Zitrone-Grüntee und ein Eiskonfekt mit Sesamnote. Besonders wichtig ist, dass in der chinesischen Philosophie nicht zwischen Ernährung und Medizin unterschieden wird, neben den hohen Anforderungen an Lebensmittelsicherheit ein Aspekt, den Nestlé unter anderem bei einem Milchprodukt mit hohem Calcium- und niedrigem Fettgehalt sowie einer Getränkeserie namens »Vitality« berücksichtigte, die in Chrysantheme, Aloe Vera und Blaubeere erhältlich ist.

Besondere Verpackungen

Neben dem Produkt müssen auch bei der Preisfindung lokale Besonderheiten berücksichtigt werden, schließlich sind gerade Konsumenten mit niedrigem Kaufkraftniveau bei ihrer Produktauswahl bestrebt, das Maß an Unsicherheit so gering wie möglich zu halten. Mit kleineren Einheiten versucht Nestlé, diese Hürde zu nehmen: Nescafé wird zum Beispiel in kleinen Sachets à 1,8 Gramm offeriert und Maggi-Fläschchen gibt es sogar mit 18 Millilitern. Kaufzugaben und Werbegeschenke scheinen ebenso ein probates Mittel zu sein wie ein Lätzchen als Beigabe zur Babynahrung oder ein verschließbarer Behälter bei Getränkepulver, der die Qualität des Inhaltes nach dem Öffnen besonders in feuchten Klimazonen gewährleistet. Am anderen Ende der Skala sind wiederum attraktive Nescafé-Geschenkverpackungen mit auffälliger Farb- und Formgestaltung im Regal, vornehmlich in den lokal beliebten Farben rot und golden oder mit traditionellen Motiven wie Chinaknoten oder Laternen. Über das Jahr verteilt sind chinesische und westliche Feiertage wie das traditionelle Neujahrsfest, Valentinstag, Halloween oder Weihnachten besondere kulturelle Anlässe. Um Bildung zu zeigen und Respekt gegenüber der Tradition Chinas auszudrücken, greift Nestlé auch auf kalligrafische Verzierungen zurück. Derartige Festofferten bieten auch eine sehr gute Möglichkeit, neben einem Hauptprodukt weitere Artikel des Chinasortiments anzupreisen.

Wie ist bei diesem Grad differenzierter Marktbearbeitung dennoch eine internationale Wiedererkennung der einzelnen Markenprodukte sichergestellt? Allem voran durch die zumeist umgesetzte doppelte Kennzeichnung, also eine Applikation des Markenschriftzugs sowohl in lateinischen Buchstaben als auch in chinesischen Schriftzeichen.

Pionier bei Lebensmitteln

Im Gegensatz zu vielen anderen Firmen, die ebenso im Zuge der chinesischen Öffnungspolitik unternehmerische Tätigkeiten in dem asiatischen Land ergriffen haben, kann die 1867 gegründete Nestlé auf Erfahrungen im vormodernen China zurückgreifen. Das erste Vertriebsbüro wurde 1908 in Shanghai eröffnet. Zu dieser Zeit waren Größen wie Siemens, Krupp oder BASF bereits im Markt aktiv, doch im Nahrungsmittelsektor zählt Nestlé zu den ersten ausländischen Akteuren.

Ein Rückblick erlaubt den Vergleich, dass die Schweizer das Rad seit ihrem Wiedereintritt 1990 nicht neu erfunden haben, sondern damals wie heute den Balanceakt zwischen lokaler Stärke und internationaler Marke verstehen. Zu den ersten im Markt eingeführten Produkten zählt neben der gesüßten Kondensmilch Eagle Brand die Kindernahrung Lactogen, die bereits 1924 aus Australien importiert wurde. Ein Aspekt, der auch werbetechnisch genutzt wurde, schließlich ist das Ursprungsland damals wie heute für die Beeinflussung der Kaufentscheidung bedeutend.

Den Archivunterlagen zu Folge setzte die Nestlé & Anglo-Swiss Condensed Milk Co. für die Bekanntmachung der Produkte auf Werbeschilder tragende Chinesen, eine personalintensive Maßnahme, die über die Zeiten hinweg besonders in Entwicklungsländern günstig und effektiv ist. Der zwischenmenschliche Kontakt, der hierbei eine direkte Kommunikation der Produktvorzüge und Benutzungsvorteile ermöglicht, ist nicht zu unterschätzen. Für die wohlhabendere Käuferschicht in Shanghai gab es wenige Jahre nach Markteintritt wiederum einen »Tea Shop« mit Produktverkauf und Gastronomie, heutzutage würde von einem Flagship Store die Rede sein.

Global und lokal verbinden

Die Erfahrungen aus der Vergangenheit auch für die Gegenwart zu nutzen, empfiehlt sich gerade bei einer über die Jahrtausende konstanten Kultur wie der chinesischen. Der Vergleich historischer und rezenter Marketingaktivitäten weist interessante Parallelen auf und ermöglicht, kurzfristige Trends von langfristigen Einfluss- und Erfolgsfaktoren zu unterscheiden. Nestlé demonstriert dieses nicht nur beispielhaft, mit seiner global-lokalen Expertise und bei steigendem Wohlstand auf chinesischer Seite wird der Gelbspatz sein Nest in zukünftigen Geschäftsberichten wohl in höherer Lage bauen. at

Über China Marketing Blog

Führender Blog zum Thema China Marketing herausgegeben von China-Experte Dr. Dr. Andreas Tank. Praxisbeispiele, Fallstudien, Informationen, Hintergrundanalysen.
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